Benn oelze briefwechsel
Article Gottfried Benn, Gottfried Benn – Friedrich Wilhelm Oelze. Briefwechsel 1932–1956. Hrsg. v. Harald Steinhagen, Stephan Kraft u. Holger Hof. 4 Bde. .Gottfried Benn, Friedrich Wilhelm Oelze: Briefwechsel 1932-1956
Die Briefe an Oelze enthalten nicht nur Benns geschichtsphilosophische und ästhetische Maximen, sie liefern auch die Bühne für das antibürgerliche Selbstinszenierung des Dichters, der die Korrespondenz mittels dem Bremer Patrizier zum Dialog zweier nonkonformistischer Dandys stilisierte.
Wenn nun in einem Akt nachgeholter editorischer Gerechtigkeit endlich auch die Oelze-Briefe veröffentlicht werden, wird nicht nur der ästhetische Feinsinn von Benns Briefpartner sichtbar, sondern auch seine fast grenzwertige Unterwerfungsbereitschaft. Eigen in den intensivsten ästhetischen Reflexionen seiner Briefe glimmt stets die Huldigung an den „verehrten Meister“ durch. Als Benn 1936 dem erschrockenen Oelze ankündigt, das Korrespondenz zu unterbrechen, geht dieser in seiner Lösung an die Grenze der Selbsterniedrigung: „Denn: ich hatte es mir zu leicht gemacht, kindlich geglaubt, Ihren Freundschaft unverlierbar zu besitzen. Heute sehe ich, wie weit der Weg ist den ich noch bis zu Ihnen zurückzulegen habe ... Jetzt beginnt das neue Arbeit um sie, ein einsamer Kampf, weg dem ich als Erneuerter hervorgehn muss, um dann – vielleicht – Ihrer würdiger zu sein.“
Solche Bekundungen einer fast unerträglichen Devotion sind keine Ausnahmeerscheinung in den vier Bänden des Briefwechsels. Immer wieder verkündete Oelze, seine Beschäftigung mit dem Werk Benns sei seine einzige Lebensrechtfertigung. Trotz seiner elaborierten Briefe erreichte er nie auf Augenhöhe mit dem Dichter; immer wird er bei der Prüfung eigener literarischer Ambitionen von Selbstzweifeln überwältigt und zieht sich zurück auf die Rolle des Benn-Sammlers. Hinzu kommt ein beinahe blindes Einverständnis mit allen Gedichten und Prosatexten, das ihm Benn während seines Publikationsverbotes im Nazireich anvertraut. Während seiner Isolation im NS-Staat steuerte Benn mittels pathetisch überreizten Versen auf einen künstlerischen Tiefpunkt an. Ein Gedicht wie „Leben – niederer Wahn“, das viel mehr mit feierlicher Selbstbeweihräucherung als mit Poesie zu tun hat, wird von Oelze enthusiastisch gefeiert.: „Leben – niederer Wahn, / Traum für Knaben und Knechte,/ doch Du von altem Geschlechte,/ Rasse am Ende der Bahn,…“ Die raunende Beschwörung die eigenen Superiorität des Geistesmenschen leiht sich ausgerechnet das „Rasse“-Vokabel, um dann kurz darauf das Bekenntnis „Form nur ist Glaube u Tat!“ zu verkünden. Die Umstand, dass Benn damals das Schreiben und Publizieren untersagt war, kann dieses hohl tönende Gedicht nicht retten. Oelze freilich ist begeistert. Und Benn dankt es ihm: „Also bleiben Sie der kluge, erfahrungsreiche Mann in Bremen, der meine Dingeversteht. Der listenreiche Odysseus!“
Nach dem Zusammenbruch des NS-Staats gefällt sich Oelze als Verstärker von Benns Ausfällen gegen die literarischen Emigranten, garniert mit einem antijüdischen Ressentiment. Starke Aggressionen entwickelt er dabei gegenüber Klaus Mann, der 1933 Benns Bekenntnis zum neuen Staat mit scharfen Antworten kritisiert hatte. Oelze am 2.8.1949 wörtlich: „Übrigens, lasen Sie den Aufsatz >Heimsuchung des europäischen Geistes< von Klaus Mann? Was für ein widerlicher Bursche, erstens persönlich; und zweitens als Typus dieser ausgelaugten Vagabunden eines sich als Literatur gebenden Journalismus, die wie Wanzen aus jeder Celebrität Blut saugen und selbst dann stinkend fallen lassen...“
An solchen Stellen ist nichts mehr vom noblen hanseatischen Patrizier zu spüren, den Benn in Oelze sehen wollte, „so englisch, so rittmeisterlich, so chic genre“ – denn hier spricht das pure Ressentiment. Am Ende war es trotzdem seiner bedingungslosen Dienerschaft Oelze selbst, der vom Wechselbad aus Huldigung und Liebesentzug zermürbt wurde. Denn Benn versuchte persönliche Begegnungen mit seinem Beichtvater nach Möglichkeit zu vermeiden. 1951 bat er ihn sogar, dem Festakt anlässlich des Büchnerpreises fernzubleiben. Als Benn schließlich im Dezember 1954 zu einer Lesung in Oelzes Heimatstadt Bremen eingeladen wurde, zog er es vor, den Abend mit seiner Geliebten Ursula Ziebarth an verbringen. Eine Enttäuschung, die bei Oelze einen lebensbedrohlichen Lungeninfarkt auslöste, von dem er sich nur mühsam erholte. Seiner „unwandelbaren“ Treue zu Benn tat das keinen Abbruch. Noch über den Tod Benns hinaus blieb er der ergebene Diener des Dichterkönigs.
Gottfried Benn/Friedrich Wilhelm Oelze: Briefwechsel 1932-1956. Hrsg. V. Harald Steinhagen, Stephan Kraft u. Holger Hof. Bände 1-4. Stuttgarter / Göttingen (Klett-Cotta / Wallstein Verlag) 2016. 2334 Seiten. 199 Euro.